Nachdem ich zwei Jahre Chemie an der Karl-Ruprechts-Universität Heidelberg studiert hatte, hatte ich mich dazu entschlossen, mein letztes Jahr des Bachelorstudiums im Ausland als Erasmus-Studentin zu verbringen. Heidelberg hat eine Reihe Partneruniversitäten in Europa, und ich habe mich zunächst für Lund in Südschweden beworben. Aufgrund diverser organisatorischer Schwierigkeiten bin ich letztendlich allerdings nicht in Skandinavien, sondern im Vereinigten Königreich in der südwestlich gelegenen Kanalstadt Bristol gelandet
Das Schöne an britischen Universitäten sind die sogenannten Societies, in denen sämtliche studentische Freizeitbeschäftigungen organisiert sind. Bristol hat über 200 verschiedene Societies, wovon ein Großteil Sportclubs sind. Da ich in Heidelberg nie die Möglichkeit hatte, neben dem Studium leistungsmäßig zu rudern, habe ich hier die Gelegenheit genutzt und bin kurz nach meiner Ankunft dem University of Bristol Boat Club (UBBC) beigetreten. Im Allgemeinen haben studentische Clubs in Großbritannien einen deutlich höheren Stellenwert als in Deutschland, weshalb ihnen nicht nur mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Universität zugeteilt wird, sondern auch sehr viel Energie von jedem einzelnen Mitglied investiert wird. Teil einer Society zu sein bedeutet demnach in den meisten Fällen Teil einer Gruppe zu sein, die sich selbst als eine Art Familie sieht und auch außerhalb ihrer Aktivitäten viel Zeit miteinander verbringt. Zudem ist gerade Rudern in England ein sehr traditionsreicher Sport, der von allen sehr ernst genommen wird und dem auch in der Öffentlichkeit viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Daher ist Rudern hier für mich schnell mehr als nur ein Hobby geworden.
Obwohl der UBBC ein rein studentisch organisierter Verein ist, stehen seine Standards denen von großen Clubs wie Oxford oder Cambridge kaum nach. Um in die Wettkampfmannschaft aufgenommen zu werden, musste ich ein vierwöchiges Probetraining durchlaufen, nachdem nur eine handvoll Studenten in das Novice Programm aufgenommen wurden. Durch das Absolvieren von jeweils zweimal Krafttraining, Ergotraining und Wassertraining pro Woche werden im Rahmen dieses Programms aus Anfängern (Novices) innerhalb einer Saison Senior Ruderer, die es sogar bis zur Henley Royal Regatta schaffen. Es wird sehr viel Wert auf Riemen Rudern gelegt, weshalb hauptsächlich in Achtern und Vierern trainiert wird.
Eine britische Wettkampfsaison ist in Head Races im Winter und Regatten im Sommer unterteilt. Head Races finden auf schmalen kleinen Flüssen statt und sind Zeitrennen in den gewöhnlichen Bootsklassen, wobei in der Novice Kategorie nicht nach Gewicht getrennt wird. Es ist keine Qualifikation notwendig, um starten zu dürfen, und im Gegensatz zu Regatten gibt es keine Vorläufe/Finale, sondern nur je eine Startklasse vormittags und nachmittags.
Zwei der größten Wettkämpfe werden vom British Universities & Colleges Sport (BUCS) organisiert: BUCS Head (März) und BUCS Regatta (Mai, größte studentische Regatta in Europa, dieses Jahr in Nottingham). Als UBBC haben wir dieses Jahr am 02. und 03. März 2019 zusammen mit dem Gloucester Rowing Club das BUCS Head Race auf dem Gloucester Channel ausgerichtet. In der Novice Kategorie sind samstags je ein Frauen- und ein Männerachter, ein 4x und ein 4+ gestartet. Ich hatte das Glück, mit einer tollen Mannschaft im Doppelvierer den vierten Platz über eine Strecke von 3,2 km in 13:27,8 min zu belegen, hinter den Mannschaften aus Durham, Leeds und Belfast. Außerdem saß ich im Bug unseres Frauenachters, der es in 12:24.0 knapp hinter Surrey auf Platz fünf schaffte. Einen besonderen Erfolg erreichten die Frauen im 4+ mit einer Bronze-Medaille. Für den männlichen Teil unseres Teams liefen die Rennen ebenfalls gut. Die starke Konkurrenz sorgte allerdings für weniger gute Platzierungen (Platz 7 für den 4x, Platz 12 für den 4+ und Platz 24 für den 8+).
Nach diesem erfolgreichen Rennen bereiten wir uns jetzt auf die anstehende Regatta Saison vor. Höhepunkt unseres Trainings wird das fünftägige Trainingslager vor Ostern in dem kleinen Städtchen Saltford am Fluss Avon.
Rosa Müller
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